Was wir zu Monis Rache noch sagen wollten

Ein Text der Unterstützer*innengruppe des Antisexistischen Supports Leipzig
Seit der sogenannten Corona-Krise gibt es linke und feministische Themen, die durch offensichtliche Missstände verstärkt in den Vordergrund rücken. Sexualisierte Gewalt ist eines dieser Themen, obgleich männliche Gewalt in Haushalten, Femizide oder patriarchale Rollenvorstellungen schon immer allgegenwärtig waren. Inmitten dieser Diskussionen haben wir festgestellt, dass unserem Empfinden nach die Auseinandersetzungen in Bezug auf Monis Rache bedenkliche Wege und Ausmaße annehmen. Wir möchten diesen Text nutzen, um den aktuellen Umgang mit Betroffenen und dem Täter selbst zu thematisieren. Was wir in den letzten Monaten beobachtet haben, ist eine enorme Solidarität mit Betroffenen, eine tolle und empowernde Vernetzung, Handlungsfähigkeit, lautstarke Demos und vieles mehr – was wunderbar ist und uns allen Kraft gibt und Hoffnung macht. Gleichzeitig hat sich der Fokus weg vom Täter (Wer redet eigentlich noch von dem Täter? Wo hält sich dieser auf? Wie ist der Stand der aktuell laufenden Strafverfahren?) auf ein bestimmtes Umfeld gerichtet. Darauf möchten wir gern Bezug nehmen, ohne die gewaltstützenden gesellschaftlichen Strukturen dahinter zu vernachlässigen. 
 
Nach der Veröffentlichung der Taten um das Festival Monis Rache gab es, wie bereits erwähnt, eine erstaunliche Vernetzung von Betroffenen. Gleichzeitig wurden sehr schnell viele Personen aus Kontexten ausgeschlossen und es wurden Forderungen nach Rechtfertigungen gestellt. Die sogenannte EKG (Erstkenntnisgruppe), welche versuchte, mit dem Täter transformativ zu arbeiten (was durchaus als gescheitert bezeichnet werden kann), wurde aus nahezu allen Szenezusammenhängen ausgeschlossen, vom Späti bis zum Fußballverein. Oftmals lief dies über öffentliche Statements ab, die relativ schnell nach Veröffentlichung der Tat verfasst wurden. Viele weitere Projekte schrieben ebenso Texte, in welchen die Tat verurteilt und verschiedene Auseinandersetzungen gefordert wurden – was wir auf jeden Fall begrüßen. 
 
Dennoch möchten wir nun, etwa ein halbes Jahr nach Veröffentlichung der Tat, Gedanken und (Auf-)Forderungen formulieren, die wir aus den Reaktionen der sogenannten Szene ableiten (dabei sind wir uns durchaus bewusst, dass wir hier nicht von einer homogenen Szene sprechen). 
 
1. Das Thema sexualisierte Gewalt und der Umgang damit sollten fortwährende Themen innerhalb linker Kontexte sein und nicht als Nebenwiderspruch verhandelt werden. Vor allem die eigene Involviertheit und Geschlechtlichkeit innerhalb eines patriarchalen Systems sollten dabei reflektiert werden – v.a. von cismännlichen Personen. Betroffene sollten ernst genommen und unterstützt werden. Glaubt ihre Geschichten und hinterfragt sie nicht. Seid solidarisch, schaut hin und fragt, wie ihr eine Person unterstützen könnt.
 
2. Wenn ihr ein Statement geschrieben oder ein Hausverbot ausgesprochen habt, wie ging eure bzw. die Auseinandersetzung eurer Gruppe dann weiter? Haben sich Gruppen gegründet, um sich mit der eigenen (cismännlichen) Werdung und den Konsequenzen daraus auseinander zu setzen? Wird an Konzepten gearbeitet, wie verantwortungsvoll mit Täter*innenschaften in den eigenen Reihen umgegangen werden kann?  Wird Betroffenen geglaubt und werden ihre Forderungen in die Öffentlichkeit getragen? Oder wurde mit der Veröffentlichung eines Statements schon alles abgehakt?
 
3. Wie ist der Umgang mit Personen, die dem Täter nahestanden und was möchten die Betroffenen? Da es in diesem Fall sehr viele Betroffene gibt, sind diese beiden Fragen besonders schwer zu beantworten. Einige Personen möchten niemanden aus der EKG mehr in Leipzig sehen, für andere ist das völlig egal und wieder andere fordern einen Prozess mit entsprechenden Personen, bevor sie bestimmte Räume wieder betreten können. Wir können nicht abschließend sagen, was der richtige oder bessere Weg ist, aber wir möchten anhand eines Beispiels ausführen, wie Betroffenheit und (ungewollte) Kompliz*innenschaft zusammenhängen können. 
Eine Person, deren Status auch szeneintern sehr unterschiedlich verhandelt wird, ist die Ex-Freundin des Täters. Sie wusste bereits vor der Veröffentlichung von seinen Taten und hat anfangs auch mit der EKG und ihm gearbeitet – anfangs, als sie unter Schock stand, weil ihr Freund derartiges getan hatte. Anfangs, als sie dachte, dass er verstehen würde und sich doch ändern könne, und sie niemand anderem davon erzählte, weil es so unfassbar war. Dieser Person wird Monate nach der Veröffentlichung weiterhin der Zugang zu Szeneräumen verweigert. Vom Sportclub bis zum Wohnraum begegnen ihr weiterhin Fragen nach dem Warum ihrer Handlungen. Und hier stellt sich die Frage: Warum stellen Personen all diese Fragen? Was ist das Ziel dahinter? Geht es tatsächlich darum, ihr Verhalten zu verstehen und nachvollziehen zu können? Geht es darum, dem Gefühl der eigenen Ohnmacht irgendetwas Erklärendes entgegenzusetzen, um sich wieder handlungsfähig zu fühlen? Oder geht es darum, die eigene Integrität zu sichern und sich politisch auf der „richtigen“ Seite zu wägen? Wird von eigener Involviertheit in machtvolle patriarchale Strukturen abgelenkt, indem sich an einer „Schuldigen“ abgearbeitet wird – in diesem Fall fast der einzigen Person, die gerade greifbar erscheint?  So verwirrend es sein mag, Fakt ist: Menschen die in nahen Beziehungen Gewalt erleben, nehmen die Täter zeitweise in Schutz – fast immer. Es ist ein (unbewusster) Selbstschutz-Mechanismus, der aus der Bindung und möglicherweise Abhängigkeit von der gewaltausübenden Person resultiert. Sowohl Verdrängung als auch Verleugnung sind Reaktionen, um Erinnerungen an belastende oder überlastende Erlebnisse und den eigenen – wenn auch objektiv unbegründeten – Schuld- und Schamgefühlen nicht permanent ausgeliefert zu sein. Der Prozess des Bewusstwerdens all dessen und des Wiedererlangens der eigenen Handlungsfähigkeit kann Jahre dauern – vom Mut, damit auch noch an die Öffentlichkeit zu gehen, ganz zu schweigen. Jahre, in denen weitere potentiell Betroffene nicht von dieser (ebenso betroffenen) Person geschützt werden.  Das Wissen darum soll nichts rechtfertigen, aber es hilft uns zu verstehen.
Denn auch die Person, um die es hier geht, ist eine Betroffene von Gewalt durch ihren Ex-Partner. Eine Person, die auch sichere Räume und ein sicheres Umfeld braucht, um sich zu erholen, um das Geschehene zu verarbeiten und um wieder handlungsfähig zu werden in einer Welt, in der FLINT* Personen täglich mit patriarchaler und männlicher Gewalt konfrontiert sind.
 
4. Warum konnte es gerade in linken Kontexten zu einer solchen Tat kommen? Weil wir in einem patriarchalen System leben, das Gewalt gegen FLINT* Personen stützt. Dieses machtvolle System befördert cismännliche Gewalt in allen möglichen (und eben auch linken) Kontexten, so auch die Tat im Fall von Monis Rache.
Wen machen wir nun aber verantwortlich für das, was passiert ist? An wem arbeiten wir uns politisch ab? Wen schließen wir aus welchen Kontexten aus und wieso? Und wer ist tatsächlich verantwortlich für all den Mist? Verantwortlich ist der Täter und das patriarchale System, in dem wir leben – verantwortlich sind nicht die Betroffenen. Im Fall von Monis Rache hätten viele Menschen an vielen Stellen anders handeln können und auch müssen, zum Beispiel die so genannte EKG. Aber auch an ihnen sollten wir uns nicht abarbeiten, wenn dabei der Blick auf die Ursprünge patriarchaler und männlicher Gewalt und deren Bekämpfung verloren geht. Das Problem sollte außerdem nicht allein an ausgewählten Individuen verhandelt werden.
Alternative Konzepte zu Strafrecht sollten weiterhin diskutiert und eingesetzt werden, vor allem, wenn es um Definitionsmacht geht, aber auch transformative justice kann und sollte an diesem Beispiel analysiert werden.
 
Wir wünschen uns daher eine Solidarität mit allen Betroffenen von sexualisierter Gewalt, dass diese sich nicht rechtfertigen müssen und ihre Grenzen geachtet werden. Wir wünschen uns Umfelder, die sich dafür einsetzen und sensibel sind. Wir wünschen uns Umfelder, die Täter*innen nicht schützen, sondern sich betroffensolidarisch mit dem Thema auseinandersetzen. Und wir wünschen uns Menschen, die ihre eigene Eingebundenheit in Machtverhältnisse reflektieren und entsprechend agieren – auch wenn dabei das eine oder andere Privileg mal flöten geht.
 
Für ein Ende der Gewalt!