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Redebeitrag zur Kundgebung am 14.02.21 (MoRa)

Wir, der Antisexisitische Support Leipzig bestehen nun seit knapp 5
Jahren und haben uns als gemischtgeschlechtliche Gruppe aus
unterschiedlichen linksradikalen und emanzipatorischen Kontexten
zusammengefunden. Unser Anliegen ist es, zum einen Menschen bei der Auseinandersetzung mit erlebter sexualisierter Gewalt, Sexismus oder Gewaltdynamiken in Beziehungen solidarisch zu unterstützen. Zum anderen sind wir bestrebt einen kollektiven Umgang mit eben dieser Gewalt voranzutreiben, der sich mit transformativen Prozessen an Umfelder richtet, in denen sich gewaltausübende Personen befinden.

Unsere Arbeit findet innerhalb einer, nennen wir es „schwammig definierten“ linken Szene statt, welche nach wie vor ihrem eigenen antisexistischen Anspruch nicht gerecht wird. Sie ist dabei der Versuch patriarchale Gewalt und die Dynamiken, die diese hervorbringt nicht länger hinzunehmen und ihr eine kollektive Praxis und politische Öffentlichkeit entgegenzustellen. Staatliche Repression und die Vereinzelung von Betroffenen im Privaten begreifen wir dabei als Teile der Probleme, die es anzugehen gilt.

Dass wir mit diesem Begehren nicht alleine sind haben nicht zuletzt die Reaktionen auf die Vorfälle von Monis Rache mehr als deutlich gemacht. Die bereits beschriebenen Fälle digitaler sexualisierter Gewalt führten im vergangenen Jahr zu einer uns zuvor nicht bekannten, gleichzeitigen Betroffenheit unzähliger FLINTA-Personen. Also Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binäre, Trans- und Agender Personen. Die Reaktionen waren vielseitig. Vernetzung über Chatgruppen und Plena in Berlin, Leipzig und weiteren Städten, Artikel mit öffentlichen Forderungen; neu gegründete Initiativen und Demonstrationen die eine feministische Wut auf die Straße trugen. Eine tendenziell weiter wachsende Sensibilisierung zum Thema „sexualisierte Gewalt“ im Allgemeinen und zu digitaler sexualisierter Gewalt im Besonderen ist unseres Eindrucks nach durchaus zu beobachten.
Auch innerhalb des ASL waren die Übergriffe von Monis Rache allzu präsent. Uns erreichten Anfragen nach Unterstützung von Betroffenen und auch innerhalb unserer Struktur stellte sich mit neuer Dringlichkeit die Frage nach einem gelingenden Austausch und Für-einander-da-sein in Fällen eigener Betroffenheit – während Wut und Überforderung für einige Wochen nach den Ereignissen Teil unserer Plena wurde.

Vielleicht ist es vorrangig dieser feministischen Wut und der starken Öffentlichkeitsarbeit von Betroffenen zu verdanken, dass auch für linke cis-Männer die Beschäftigung mit sexualisierter Gewalt und Sexismus zumindest kurzzeitig nicht bloß eine Frage des guten Geschmacks sein konnte. Eine Veranstaltung im Leipziger Süden mit der Leitfrage „Wie kann ich mich als cis-Mann solidarisch mit Betroffenen zeigen und welche Schwierigkeiten treten dabei auf?“ wurde regelrecht überrannt. Zwei Drittel aller Besucher mussten aus Platzgründen wieder nach Hause geschickt werden. Auch einige nicht öffentliche Gruppen, die sich mit dem Ziel einer kritischen Reflexion eigener Männlichkeit zusammenfanden sind uns bekannt.
Ohne den Anspruch eines systematischen Überblicks zu pro-feministischen Organsiationsversuchen linker cis-Männer in Leipzig erheben zu können, kommen wir allerdings nicht umhin eine kaum gebrochene Planlosigkeit und Gemütlichkeit in diesem Feld zu kritisieren. Cis-Männer bewegen sich weiterhin, wenn überhaupt, in Reaktion auf Forderungen die seit Jahrzehnten bestehen und das in der Regel genau so weit, wie sie von ihren feministischen Freund*innen und Genoss*innen mühsam vorangeschoben werden. Diese Unfähigkeit von cis-Männern sich auf breiter Ebene an einem langfristigen Aufbau antisexistischer Strukturen zu beteiligen steht unserer Ansicht nach in einem unmittelbaren Zusammenhang zu ihrer Rolle als Täter und Komplizen patriarchaler Gewalt.
Die Erfahrungen des ASL im Bereich der transformativen Arbeit schließen hier an. Allzu oft fanden sich Menschen aus unserer Struktur in Prozessen wieder, die unter anderem an der Abwehr und gleichzeitig unbeholfenen Unselbstständigkeit von cis-Männern scheiterten. Umfelder die bereits Strukturen etabliert hatten um Menschen kritisch in ihren Aufarbeitungsprozessen zu begleiten, fanden wir kaum vor. Dies alles und noch viel mehr muss sich ändern!

Wir fordern ein Ende der Übergriffe aller Art. Egal ob im Club oder zu Hause, auf der Straße oder im Plenum. Die Grenzen einer Person sind zu respektieren und werden von ihr alleine gesetzt.
Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass alle Menschen ihre Grenzen jederzeit gut wahrnehmen können. Es braucht aktiven Konsens, Empathie und darüber hinaus weiteres Empowerment, damit es leichter wird, eigene Grenzen spüren und setzen zu können.

Seid solidarisch mit Betroffenen von patriarchaler Gewalt. Nehmt sie ernst und bietet ihnen eure parteiliche Unterstützung an, soweit ihr es selber könnt. Achtet aber auch auf eure eigenen Grenzen, denn meistens übernehmen genau die Menschen Verantwortung, die als FLINTA-Personen zumindest teilweise der strukturell gleichen Gewalt ausgesetzt sind und somit meist noch eigene Betroffenheiten aushalten müssen. Dabei gibt es auch innerhalb von FLINTA-Zusammenhängen unterschiedliche Betroffenheiten von Gewalt. Es bedarf umfänglicher Reflexions- und Sensibilisierungsprozesse in und über FLINTA-Kontexte hinaus.

Wir wünschen uns Umfelder, in denen ausgeübte Gewalt nicht länger unbesprochen bleibt, bagatellisiert oder gar bestritten wird. Männerbündische Komplizenschaft und Täterschutz gilt es aufzubrechen und gerade cis-Männer müssen sich kritisch auf ihre eigene Täterschaft hin befragen lassen. Umfelder müssen darüber in Austausch kommen, wie sie mit gewaltvollem Verhalten umgehen. Wo können und müssen wir selbst lernen Verantwortung zu übernehmen? Wo braucht es professionelle Hilfe?

Wir fordern auch eine Kontinuität der Reflexion von patriarchal geprägtem Denken, Fühlen und Handeln. Wenn cis-Männer weiterhin mit feministischen Lippenbekenntnissen oder sprachlichen Codes eine Ausweichbewegung um das Themen Vergewaltigungskultur vollziehen, ist tatsächlich nicht mehr gewonnen als eine modernisierte Männlichkeit mit pseudofeministischem Anstrich.

Wir begrüßen es, dass Gruppen, die am Aufbau der Räume beteiligt waren, in denen es im letzten Jahr zu Fällen digitaler sexualisierter Gewalt gekommen ist, sich zu den Vorfällen positioniert und für ihre Gruppen versucht haben, Konsequenzen daraus zu ziehen. Was wir darüber hinaus noch immer dringend brauchen, sind fest etablierte Strukturen die langfristig sexualisierter Gewalt entgegen wirken. Ob es dabei darum geht eine neue Sensibilität und Verantwortung in persönlichen Nahumfeldern zu erlernen oder wie etwa die Gruppe Fantifa Leipzig fordert, schlichtweg in allen Gruppen in denen cis-Männer sind, das Thema Antisexismus und Männlichkeit als Unumgängliches zu etablieren, kann hier selbstredend nicht diskutiert werden. Wir fordern jedoch, auf breiter Ebene damit zu beginnen! Einige Ideen gibt es bereits und auch ein Blick in die Geschichte und über deutschsprachige Kontexte hinaus kann inspirieren.

Nicht zuletzt gilt es grundlegend auf den Untergang des Patriarchats hinzuarbeiten. Dies muss unserer Meinung nach in Verbindung anti-kapitalistischer, zum Rechtsstaat in Opposition stehender Ideen und Kämpfe geschehen. Wir leben in einem System, das strukturell auf den Herrschaftsachsen von Race, Class und Gender aufbaut!
Patriarchale Gewalt ist nicht nur ein Symptom des auf unzähligen Ebenen menschenverachtenden Systems, in welchem wir Leben, sondern bedingt mit den Erhalt dessen. Es liegt an uns allen diese bestehenden Verhältnisse anzugreifen und neu zu sortieren. – Sei es in unseren Freund*innenkreisen und Strukturen, in unseren sozialen Beziehungen, in Institutionen jedweder Hinsicht oder im Kampf gegen unsere eigene sexistische, kapitalistische Sozialisierung.

Ob Subkultur, Szene oder breite Gesellschaft. – Fangen wir an Verantwortung für einander zu übernehmen!

Für ein Ende der Gewalt!

Für eine befreite Gesellschaft!

 

Dies ist eine aktualisierte Version des ursprünglichen Redebeitrags zu dem ihr hier kommt. Da uns nach dem Beitrag Kritik zu einigen Inhalten erreichte, besprachen wir den Text nach und änderten einige Stellen ab. Vielen Dank dafür! Wir freuen uns auch weiterhin über eure Gedanken und solidarische Kritik.

Was wir zu Monis Rache noch sagen wollten

Ein Text der Unterstützer*innengruppe des Antisexistischen Supports Leipzig
Seit der sogenannten Corona-Krise gibt es linke und feministische Themen, die durch offensichtliche Missstände verstärkt in den Vordergrund rücken. Sexualisierte Gewalt ist eines dieser Themen, obgleich männliche Gewalt in Haushalten, Femizide oder patriarchale Rollenvorstellungen schon immer allgegenwärtig waren. Inmitten dieser Diskussionen haben wir festgestellt, dass unserem Empfinden nach die Auseinandersetzungen in Bezug auf Monis Rache bedenkliche Wege und Ausmaße annehmen. Wir möchten diesen Text nutzen, um den aktuellen Umgang mit Betroffenen und dem Täter selbst zu thematisieren. Was wir in den letzten Monaten beobachtet haben, ist eine enorme Solidarität mit Betroffenen, eine tolle und empowernde Vernetzung, Handlungsfähigkeit, lautstarke Demos und vieles mehr – was wunderbar ist und uns allen Kraft gibt und Hoffnung macht. Gleichzeitig hat sich der Fokus weg vom Täter (Wer redet eigentlich noch von dem Täter? Wo hält sich dieser auf? Wie ist der Stand der aktuell laufenden Strafverfahren?) auf ein bestimmtes Umfeld gerichtet. Darauf möchten wir gern Bezug nehmen, ohne die gewaltstützenden gesellschaftlichen Strukturen dahinter zu vernachlässigen. 
 
Nach der Veröffentlichung der Taten um das Festival Monis Rache gab es, wie bereits erwähnt, eine erstaunliche Vernetzung von Betroffenen. Gleichzeitig wurden sehr schnell viele Personen aus Kontexten ausgeschlossen und es wurden Forderungen nach Rechtfertigungen gestellt. Die sogenannte EKG (Erstkenntnisgruppe), welche versuchte, mit dem Täter transformativ zu arbeiten (was durchaus als gescheitert bezeichnet werden kann), wurde aus nahezu allen Szenezusammenhängen ausgeschlossen, vom Späti bis zum Fußballverein. Oftmals lief dies über öffentliche Statements ab, die relativ schnell nach Veröffentlichung der Tat verfasst wurden. Viele weitere Projekte schrieben ebenso Texte, in welchen die Tat verurteilt und verschiedene Auseinandersetzungen gefordert wurden – was wir auf jeden Fall begrüßen. 
 
Dennoch möchten wir nun, etwa ein halbes Jahr nach Veröffentlichung der Tat, Gedanken und (Auf-)Forderungen formulieren, die wir aus den Reaktionen der sogenannten Szene ableiten (dabei sind wir uns durchaus bewusst, dass wir hier nicht von einer homogenen Szene sprechen). 
 
1. Das Thema sexualisierte Gewalt und der Umgang damit sollten fortwährende Themen innerhalb linker Kontexte sein und nicht als Nebenwiderspruch verhandelt werden. Vor allem die eigene Involviertheit und Geschlechtlichkeit innerhalb eines patriarchalen Systems sollten dabei reflektiert werden – v.a. von cismännlichen Personen. Betroffene sollten ernst genommen und unterstützt werden. Glaubt ihre Geschichten und hinterfragt sie nicht. Seid solidarisch, schaut hin und fragt, wie ihr eine Person unterstützen könnt.
 
2. Wenn ihr ein Statement geschrieben oder ein Hausverbot ausgesprochen habt, wie ging eure bzw. die Auseinandersetzung eurer Gruppe dann weiter? Haben sich Gruppen gegründet, um sich mit der eigenen (cismännlichen) Werdung und den Konsequenzen daraus auseinander zu setzen? Wird an Konzepten gearbeitet, wie verantwortungsvoll mit Täter*innenschaften in den eigenen Reihen umgegangen werden kann?  Wird Betroffenen geglaubt und werden ihre Forderungen in die Öffentlichkeit getragen? Oder wurde mit der Veröffentlichung eines Statements schon alles abgehakt?
 
3. Wie ist der Umgang mit Personen, die dem Täter nahestanden und was möchten die Betroffenen? Da es in diesem Fall sehr viele Betroffene gibt, sind diese beiden Fragen besonders schwer zu beantworten. Einige Personen möchten niemanden aus der EKG mehr in Leipzig sehen, für andere ist das völlig egal und wieder andere fordern einen Prozess mit entsprechenden Personen, bevor sie bestimmte Räume wieder betreten können. Wir können nicht abschließend sagen, was der richtige oder bessere Weg ist, aber wir möchten anhand eines Beispiels ausführen, wie Betroffenheit und (ungewollte) Kompliz*innenschaft zusammenhängen können. 
Eine Person, deren Status auch szeneintern sehr unterschiedlich verhandelt wird, ist die Ex-Freundin des Täters. Sie wusste bereits vor der Veröffentlichung von seinen Taten und hat anfangs auch mit der EKG und ihm gearbeitet – anfangs, als sie unter Schock stand, weil ihr Freund derartiges getan hatte. Anfangs, als sie dachte, dass er verstehen würde und sich doch ändern könne, und sie niemand anderem davon erzählte, weil es so unfassbar war. Dieser Person wird Monate nach der Veröffentlichung weiterhin der Zugang zu Szeneräumen verweigert. Vom Sportclub bis zum Wohnraum begegnen ihr weiterhin Fragen nach dem Warum ihrer Handlungen. Und hier stellt sich die Frage: Warum stellen Personen all diese Fragen? Was ist das Ziel dahinter? Geht es tatsächlich darum, ihr Verhalten zu verstehen und nachvollziehen zu können? Geht es darum, dem Gefühl der eigenen Ohnmacht irgendetwas Erklärendes entgegenzusetzen, um sich wieder handlungsfähig zu fühlen? Oder geht es darum, die eigene Integrität zu sichern und sich politisch auf der „richtigen“ Seite zu wägen? Wird von eigener Involviertheit in machtvolle patriarchale Strukturen abgelenkt, indem sich an einer „Schuldigen“ abgearbeitet wird – in diesem Fall fast der einzigen Person, die gerade greifbar erscheint?  So verwirrend es sein mag, Fakt ist: Menschen die in nahen Beziehungen Gewalt erleben, nehmen die Täter zeitweise in Schutz – fast immer. Es ist ein (unbewusster) Selbstschutz-Mechanismus, der aus der Bindung und möglicherweise Abhängigkeit von der gewaltausübenden Person resultiert. Sowohl Verdrängung als auch Verleugnung sind Reaktionen, um Erinnerungen an belastende oder überlastende Erlebnisse und den eigenen – wenn auch objektiv unbegründeten – Schuld- und Schamgefühlen nicht permanent ausgeliefert zu sein. Der Prozess des Bewusstwerdens all dessen und des Wiedererlangens der eigenen Handlungsfähigkeit kann Jahre dauern – vom Mut, damit auch noch an die Öffentlichkeit zu gehen, ganz zu schweigen. Jahre, in denen weitere potentiell Betroffene nicht von dieser (ebenso betroffenen) Person geschützt werden.  Das Wissen darum soll nichts rechtfertigen, aber es hilft uns zu verstehen.
Denn auch die Person, um die es hier geht, ist eine Betroffene von Gewalt durch ihren Ex-Partner. Eine Person, die auch sichere Räume und ein sicheres Umfeld braucht, um sich zu erholen, um das Geschehene zu verarbeiten und um wieder handlungsfähig zu werden in einer Welt, in der FLINT* Personen täglich mit patriarchaler und männlicher Gewalt konfrontiert sind.
 
4. Warum konnte es gerade in linken Kontexten zu einer solchen Tat kommen? Weil wir in einem patriarchalen System leben, das Gewalt gegen FLINT* Personen stützt. Dieses machtvolle System befördert cismännliche Gewalt in allen möglichen (und eben auch linken) Kontexten, so auch die Tat im Fall von Monis Rache.
Wen machen wir nun aber verantwortlich für das, was passiert ist? An wem arbeiten wir uns politisch ab? Wen schließen wir aus welchen Kontexten aus und wieso? Und wer ist tatsächlich verantwortlich für all den Mist? Verantwortlich ist der Täter und das patriarchale System, in dem wir leben – verantwortlich sind nicht die Betroffenen. Im Fall von Monis Rache hätten viele Menschen an vielen Stellen anders handeln können und auch müssen, zum Beispiel die so genannte EKG. Aber auch an ihnen sollten wir uns nicht abarbeiten, wenn dabei der Blick auf die Ursprünge patriarchaler und männlicher Gewalt und deren Bekämpfung verloren geht. Das Problem sollte außerdem nicht allein an ausgewählten Individuen verhandelt werden.
Alternative Konzepte zu Strafrecht sollten weiterhin diskutiert und eingesetzt werden, vor allem, wenn es um Definitionsmacht geht, aber auch transformative justice kann und sollte an diesem Beispiel analysiert werden.
 
Wir wünschen uns daher eine Solidarität mit allen Betroffenen von sexualisierter Gewalt, dass diese sich nicht rechtfertigen müssen und ihre Grenzen geachtet werden. Wir wünschen uns Umfelder, die sich dafür einsetzen und sensibel sind. Wir wünschen uns Umfelder, die Täter*innen nicht schützen, sondern sich betroffensolidarisch mit dem Thema auseinandersetzen. Und wir wünschen uns Menschen, die ihre eigene Eingebundenheit in Machtverhältnisse reflektieren und entsprechend agieren – auch wenn dabei das eine oder andere Privileg mal flöten geht.
 
Für ein Ende der Gewalt!
 
 

Anlässlich des 8. März – Betrachtungen zu sexualisierter Gewalt in linken Zusammenhängen

Visionen, die uns als Teil einer libertären, linken Bewegung verbinden, sind ein Streben nach Herrschaftslosigkeit: ein Leben in Freiheit, Gleichberechtigung und Selbstverantwortung. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen soll überwunden werden.
Welche Form von Ausbeutung dabei im Fokus emanzipatorischer Kämpfe stand und steht, hat zumindest teilweise einen historischen Wandel durchlaufen. Die lang vorherrschende Auffassung vom Geschlechterverhältnis als Nebenwiderspruch, der sich im Antikapitalistischen Kampf schon von selbst erledigen wird, ist zurecht in die Kritik geraten, sodass sich heute ein linkes Selbstverständnis nicht nur auf Antifaschismus und Antikapitalismus beruft, sondern oftmals auch auf Antisexismus und Antirassismus.
Inzwischen ist in unseren Zusammenhängen das Wissen darum verbreiteter, dass Sexismus durch den Kapitalismus weiter fortgeschrieben und transformiert wird, da kapitalistische Verhältnisse unter Anderem darauf aufbauen, dass die reproduktive und produktive Sphäre getrennt sind. Die zu großen Teilen unentgeltlich geleistete Reproduktionsarbeit wie Haushaltsführung, Pflege, Kindererziehung ist eine wesentliche Grundlage dafür, dass verwertbare Arbeitskräfte für die Produktion zur Verfügung stehen. Auch der Teil der Reproduktionsarbeit, der mittlerweile an staatliche oder private Institutionen ausgelagert wurde, wie Schule, Pflege und medizinische Leistungen wird zu großen Teilen unter relativ schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Löhnen von FLINTs¹ geleistet.
Stützen konnte sich das sich im 19. Jhd. etablierende kapitalistische Wirtschaftssystem dabei auf eine seit langem religiös begründete Abwertung von Weiblichkeit in Europa. Mit der Etablierung der Schulmedizin in dieser Zeit und der Durchsetzung eines darwinistischen Evolutionsmodells in der Naturwissenschaft erfolgte eine Biologisierung von Geschlechtscharakteren. Diese schrieben „der Frau“ zu, ein lediglich von Emotionen geleitetes, schwaches, minderwertiges Wesen zu haben. So etablierte sich gerade in einer Zeit aufkommender Emanzipationsbewegungen eine Ideologie, die Frauen als politische Subjekte delegitimierte. Auf der anderen Seite ermöglichte die Behauptung, die Evolution der Menschheit sei auf eine größtmögliche Ausdifferenzierung der zwei Geschlechtscharaktere ausgerichtet und kennzeichne deren höchsten Entwicklungszustand, die Pathologisierung von Menschen, die jenseits der Geschlechterbinarität verordnet wurden.
Das patriarchale Geschlechterverhältnis umfasst dabei die Gesellschaft als Ganzes, weswegen auch in unserer Bewegungsgeschichte FLINT-abwertende und -verachtende Vorstellungen eine große Rolle spielen. So bezogen sich in der anarchistischen Revolution in Spanien viele auf Ausführungen von Proudhon, der sich in „La pornocratie“ unter anderem folgendermaßen äußerte: „Kraft seiner väterlichen Gewalt kann der Mann seine Frau in folgenden Fällen umbringen: 1. Ehebruch […] 5. Verschwendung und Diebstahl, 6. hartnäckige aufbegehrende Insubordination. […] Der Mann soll seine Frau ad libitum [nach Belieben] verstoßen können. Es ist widersinnig, dem Gebieter zumuten zu wollen, gegen seinen Willen mit einem Weib zu leben. […] Ist er der Stärkere, so soll er die Rechte des Stärkeren wahren.“²
In dem seltenen Fall, dass in anarchistischen Versammlungen FLINTs das Wort ergriffen, waren des öfteren Zwischenrufe zu hören wie: „Geh deine Teller spülen.“³
Oder in den 1960ern in Deutschland: im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) waren zwar auch viele FLINTs organisiert, gesprochen haben aber vor allem cis-Männer und „Wenn eine Frau geredet hat, haben die Männer gelacht.“ (Ruth Westerwelle)
Es könnten beliebig viele weitere Beispiele benannt werden, die zeigen, dass Sexismus auch innerhalb linker Bewegungen seine Geschichte hat. Heute positionieren sich die meisten linken cis-Männer antisexistisch, kommen allerdings in einer feministischen Auseinandersetzung kaum über Lippenbekenntnisse und eine oberflächliche Theoriebildung hinaus.
So ist es leider auch keine Ausnahme, dass es zu sexualisierter Gewalt in unseren Zusammenhängen kommt.
Die unkonsensuellen pornographischen Aufnahmen auf den Dixitoiletten auf Monis Rache sind nur eines der letzten traurigen Ereignisse. Was dieses Ereignis von anderen Fällen sexualisierter Gewalt unterscheidet, ist die gleichzeitige Betroffenheit von vielen FLINTs, verteilt auf mehrere Städte. Es könnte eine Chance dafür sein, das Thema breiter ins Bewusstsein unserer Szene zu bringen; mit gemeinsamen Forderungen erreichen, dass es endlich eine größere Bereitschaft gibt, sich kritisch mit der eigenen Sozialisation auseinanderzusetzen und auf eine Kultur hinzuwirken, die sexualisierte Gewalt in unseren Gemeinschaften weniger wahrscheinlich macht.
Die Herausbildung einer gewaltförmigen Sexualität stellt in kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaften einen zentralen Aspekt von Männlichkeit dar.
FLINTs setzen sich notwendigerweise viel häufiger mit sexualisierter Gewalt auseinander und wie ein Umgang damit aussehen kann, da sich die überwiegende Zahl an Übergriffen gegen sie richtet.
Es wird Zeit, dass auch cis-Männer endlich Verantwortung dafür übernehmen, dass sie aufgrund ihrer Sozialisation dafür prädestiniert sind Gewalt auszuüben, Gewalt gar nicht erst als solche zu bemerken, oder das gewaltvolle Verhalten in der männlichen Peergroup zu vertuschen .
Ein Text, der vor einigen Monaten vom pro:feministische Diskussions- und Vernetzungscafé „Männlichkeit im Widerspruch“ herausgegeben wurde, wirft ein trauriges Schlaglicht auf den Zustand der Auseinandersetzung auch in Leipzig: https://ficko-magazin.de/mannlichkeit-und-profeminismus
In diesem Sinne braucht es einen Streik nicht nur am 8. März und nicht nur um sich gegen die kapitalistischen Zumutungen aufzulehnen, sondern auch gegen die Missstände in unseren eigenen Gemeinschaften!
Wir fordern eine Reflektion eigener sexistischer Verhaltensweisen und biographischer Zurichtungen, gerade auch von Cis-Männern!
Konfrontiert Menschen in eurem Umfeld mit ihrem gewaltvollen Verhalten!
Es braucht einen kollektiven Umgang mit sexualisierter Gewalt und den Bedingungen die sie Hervorbringen!
Übernehmt Verantwortung für euch und eure Zusammenhänge!

Die Struktur AG des Antisexistischen Support Leipzig (ASL)

¹ Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binäre-, Trans-Personen
² Männlichkeit: aktiv, Kultur, Vernunft vs. Weiblichkeit: passiv, Natur, Emotionalität
Proudhon, Pierre-Joseph: De la justice dans la révolution et dans l‘Èglise, Bd. 4, Paris (Fayard) 1990, S. 1952, 1945
³ zit. nach Baxmeyer, Martin: Amparo Poch y Gascón, Biographie und Erzählungen aus der spanischen Revolution, S. 43-44, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2018