Anlässlich des 8. März – Betrachtungen zu sexualisierter Gewalt in linken Zusammenhängen

Visionen, die uns als Teil einer libertären, linken Bewegung verbinden, sind ein Streben nach Herrschaftslosigkeit: ein Leben in Freiheit, Gleichberechtigung und Selbstverantwortung. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen soll überwunden werden.
Welche Form von Ausbeutung dabei im Fokus emanzipatorischer Kämpfe stand und steht, hat zumindest teilweise einen historischen Wandel durchlaufen. Die lang vorherrschende Auffassung vom Geschlechterverhältnis als Nebenwiderspruch, der sich im Antikapitalistischen Kampf schon von selbst erledigen wird, ist zurecht in die Kritik geraten, sodass sich heute ein linkes Selbstverständnis nicht nur auf Antifaschismus und Antikapitalismus beruft, sondern oftmals auch auf Antisexismus und Antirassismus.
Inzwischen ist in unseren Zusammenhängen das Wissen darum verbreiteter, dass Sexismus durch den Kapitalismus weiter fortgeschrieben und transformiert wird, da kapitalistische Verhältnisse unter Anderem darauf aufbauen, dass die reproduktive und produktive Sphäre getrennt sind. Die zu großen Teilen unentgeltlich geleistete Reproduktionsarbeit wie Haushaltsführung, Pflege, Kindererziehung ist eine wesentliche Grundlage dafür, dass verwertbare Arbeitskräfte für die Produktion zur Verfügung stehen. Auch der Teil der Reproduktionsarbeit, der mittlerweile an staatliche oder private Institutionen ausgelagert wurde, wie Schule, Pflege und medizinische Leistungen wird zu großen Teilen unter relativ schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Löhnen von FLINTs¹ geleistet.
Stützen konnte sich das sich im 19. Jhd. etablierende kapitalistische Wirtschaftssystem dabei auf eine seit langem religiös begründete Abwertung von Weiblichkeit in Europa. Mit der Etablierung der Schulmedizin in dieser Zeit und der Durchsetzung eines darwinistischen Evolutionsmodells in der Naturwissenschaft erfolgte eine Biologisierung von Geschlechtscharakteren. Diese schrieben „der Frau“ zu, ein lediglich von Emotionen geleitetes, schwaches, minderwertiges Wesen zu haben. So etablierte sich gerade in einer Zeit aufkommender Emanzipationsbewegungen eine Ideologie, die Frauen als politische Subjekte delegitimierte. Auf der anderen Seite ermöglichte die Behauptung, die Evolution der Menschheit sei auf eine größtmögliche Ausdifferenzierung der zwei Geschlechtscharaktere ausgerichtet und kennzeichne deren höchsten Entwicklungszustand, die Pathologisierung von Menschen, die jenseits der Geschlechterbinarität verordnet wurden.
Das patriarchale Geschlechterverhältnis umfasst dabei die Gesellschaft als Ganzes, weswegen auch in unserer Bewegungsgeschichte FLINT-abwertende und -verachtende Vorstellungen eine große Rolle spielen. So bezogen sich in der anarchistischen Revolution in Spanien viele auf Ausführungen von Proudhon, der sich in „La pornocratie“ unter anderem folgendermaßen äußerte: „Kraft seiner väterlichen Gewalt kann der Mann seine Frau in folgenden Fällen umbringen: 1. Ehebruch […] 5. Verschwendung und Diebstahl, 6. hartnäckige aufbegehrende Insubordination. […] Der Mann soll seine Frau ad libitum [nach Belieben] verstoßen können. Es ist widersinnig, dem Gebieter zumuten zu wollen, gegen seinen Willen mit einem Weib zu leben. […] Ist er der Stärkere, so soll er die Rechte des Stärkeren wahren.“²
In dem seltenen Fall, dass in anarchistischen Versammlungen FLINTs das Wort ergriffen, waren des öfteren Zwischenrufe zu hören wie: „Geh deine Teller spülen.“³
Oder in den 1960ern in Deutschland: im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) waren zwar auch viele FLINTs organisiert, gesprochen haben aber vor allem cis-Männer und „Wenn eine Frau geredet hat, haben die Männer gelacht.“ (Ruth Westerwelle)
Es könnten beliebig viele weitere Beispiele benannt werden, die zeigen, dass Sexismus auch innerhalb linker Bewegungen seine Geschichte hat. Heute positionieren sich die meisten linken cis-Männer antisexistisch, kommen allerdings in einer feministischen Auseinandersetzung kaum über Lippenbekenntnisse und eine oberflächliche Theoriebildung hinaus.
So ist es leider auch keine Ausnahme, dass es zu sexualisierter Gewalt in unseren Zusammenhängen kommt.
Die unkonsensuellen pornographischen Aufnahmen auf den Dixitoiletten auf Monis Rache sind nur eines der letzten traurigen Ereignisse. Was dieses Ereignis von anderen Fällen sexualisierter Gewalt unterscheidet, ist die gleichzeitige Betroffenheit von vielen FLINTs, verteilt auf mehrere Städte. Es könnte eine Chance dafür sein, das Thema breiter ins Bewusstsein unserer Szene zu bringen; mit gemeinsamen Forderungen erreichen, dass es endlich eine größere Bereitschaft gibt, sich kritisch mit der eigenen Sozialisation auseinanderzusetzen und auf eine Kultur hinzuwirken, die sexualisierte Gewalt in unseren Gemeinschaften weniger wahrscheinlich macht.
Die Herausbildung einer gewaltförmigen Sexualität stellt in kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaften einen zentralen Aspekt von Männlichkeit dar.
FLINTs setzen sich notwendigerweise viel häufiger mit sexualisierter Gewalt auseinander und wie ein Umgang damit aussehen kann, da sich die überwiegende Zahl an Übergriffen gegen sie richtet.
Es wird Zeit, dass auch cis-Männer endlich Verantwortung dafür übernehmen, dass sie aufgrund ihrer Sozialisation dafür prädestiniert sind Gewalt auszuüben, Gewalt gar nicht erst als solche zu bemerken, oder das gewaltvolle Verhalten in der männlichen Peergroup zu vertuschen .
Ein Text, der vor einigen Monaten vom pro:feministische Diskussions- und Vernetzungscafé „Männlichkeit im Widerspruch“ herausgegeben wurde, wirft ein trauriges Schlaglicht auf den Zustand der Auseinandersetzung auch in Leipzig: https://ficko-magazin.de/mannlichkeit-und-profeminismus
In diesem Sinne braucht es einen Streik nicht nur am 8. März und nicht nur um sich gegen die kapitalistischen Zumutungen aufzulehnen, sondern auch gegen die Missstände in unseren eigenen Gemeinschaften!
Wir fordern eine Reflektion eigener sexistischer Verhaltensweisen und biographischer Zurichtungen, gerade auch von Cis-Männern!
Konfrontiert Menschen in eurem Umfeld mit ihrem gewaltvollen Verhalten!
Es braucht einen kollektiven Umgang mit sexualisierter Gewalt und den Bedingungen die sie Hervorbringen!
Übernehmt Verantwortung für euch und eure Zusammenhänge!

Die Struktur AG des Antisexistischen Support Leipzig (ASL)

¹ Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binäre-, Trans-Personen
² Männlichkeit: aktiv, Kultur, Vernunft vs. Weiblichkeit: passiv, Natur, Emotionalität
Proudhon, Pierre-Joseph: De la justice dans la révolution et dans l‘Èglise, Bd. 4, Paris (Fayard) 1990, S. 1952, 1945
³ zit. nach Baxmeyer, Martin: Amparo Poch y Gascón, Biographie und Erzählungen aus der spanischen Revolution, S. 43-44, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2018